Zukunftsdenken

Nach den Terroranschlägen 2001 in New York und den daraus resultierenden Konsumeinbrüchen forderte George W. Bush die Amerikaner auf, einfach mehr einzukaufen. Ob das nun verantwortungsvoll oder verantwortungslos war, kann jeder für sich selbst entscheiden. Letztlich ist es auch egal. Denn schließlich sind wir ja alle Experten, wenn es darum geht, mit moralischen Plattitüden zukünftige Verantwortlichkeiten als gut oder schlecht, richtig oder falsch abzunicken. Hauptsache wir entscheiden uns. Allerdings stellt sich die Frage: Ist unsere Sicht auf Zukunftsverantwortung nicht eher ein Spiegelbild unserer Entscheidungen im Sinne des Eigennutzes?

Auslaufmodelle vs. neue Realität

Der Philosoph Richard Rorty sagt, dass die Vernunft nur Pfaden folgen kann, die die Vorstellungskraft zuerst erschlossen hat. Diese Bilder der Vorstellung werden gefüttert von einer gigantischen Industrie, großen Versprechen und dem unendlichen Hunger nach „größer, weiter und schneller“. Die Fantasie, sich etwas anderes vorstellen zu können, scheitert leider am Verstand. Deshalb beschränken sich unsere Nachhaltigkeitsdiskussionen viel lieber darauf, Konsum nur zu reduzieren, anstatt unseren Lebensstil grundlegend in Frage zu stellen. Auch wenn sich beide Betrachtungen vielleicht verantwortlich anhören, unterscheiden sie sich im Kern dennoch gravierend. Ich glaube nämlich nicht, dass moralische Verantwortungsbekundungen überhaupt noch zeitgemäß sind. Ebenso wenig wie unsere Bilder von Freiheit und Wohlstand oder unsere Erwartungen an ein stabiles und planbares Leben. Es sind alles Auslaufmodelle, weil diese alten Moralvorstellungen mit der Realität einer neuen Welt nicht mehr kompatibel sind. Aber noch immer ziehen es große Teile unserer Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vor, an diesen Bildern festzuhalten. Allein der Blick einer auf den Augenblick ausgerichteten Konsumwelt zeigt doch den Widerspruch in sich, wie unehrlich mit Verantwortung eigentlich umgegangen wird.

Traum vom Perspektivenwechsel

Umgekehrt ist es legitim, die Frage in den Raum zu stellen, inwieweit wir in einer Welt voller Echtzeittechnologien, permanenter Social-Media Beschallung und immer noch kürzeren Konsumkreisläufen Zukunftsverantwortung nicht eher als Sinnlosigkeit wahrnehmen? Entscheidungen orientieren sich an Bedürfnissen und die sind nun mal in einer kurzlebigen Welt nicht auf Langfristigkeit ausgelegt. Wir alle wurden mehr oder weniger nach zutiefst nicht-nachhaltigen Grundsätzen und Ansätzen erzogen, ausgebildet, verführt und in unseren Denkhaltungen geprägt. Die Tatsache, dass „ehrliche“ Produkte fast immer teurer als asiatischer Billigschrott sind, zeigt uns wie nachhaltig wir wirklich handeln. Und, dass sich das „Weltverbessern“ nur Menschen leisten können, denen es auch gut geht. Sorry, den anderen bleibt der Weg leider verwehrt.

Brechen wirtschaftlich schlechtere Zeiten an, greifen selbst die „Guten“ erfahrungsgemäß auf das „weniger Gute“ zurück. Dann wird die Wahrnehmung ganz einfach wieder den eigenen Überzeugungen angepasst – und gut ist. Das ewige Wechselspiel zwischen Erhalten und Verwalten unter dem Deckmäntelchen der Verantwortung nimmt somit seinen Lauf.

Genau da beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn, warum sollten wir für etwas Verantwortung übernehmen, wenn wir genau genommen alle davon abgehalten werden? Sollte nicht schon längst die Wirtschaft dem Menschen dienlich sein und nicht umgekehrt? Allein dieser Perspektivenwechsel würde mit einem Schlag alles verändern: Wie wir leben, konsumieren, arbeiten, aber auch wie sich Fortschritt und Bildung neu definieren könnten. Man darf ja mal träumen.

Echte Zukunftsverantwortung

Vielleicht erkennen wir an der Stelle, dass wir ein Verantwortungsproblem haben. Doch ist nicht gerade diese Erkenntnis das Beste, was uns passieren kann? Probleme beschreiben schließlich immer gesellschaftliche, technische oder wirtschaftliche Widersprüche in sich, die es zu lösen gilt. Ein erster Lösungsansatz könnte darin liegen, damit aufzuhören Verantwortung als moralische Instanz zu betrachten und sie als eine Art Gesamtorganismus verstehen zu lernen. Echte Zukunftsverantwortung bedeutet nämlich nicht, zwischen verantwortungsvoll oder verantwortungslos zu entscheiden, sondern einer grundlegend neuen Wirklichkeit in die Augen zu blicken.
Wir haben die Menschheit in nur zwei Generationen an den Rand eines Kollapses manövriert. Wir sollten endlich aufhören mit diesem Verantwortungsgetöse, dass wir das alles wieder irgendwie hinbiegen können. Dinge verändern sich nicht, wenn nicht wir alle die Gesamtverantwortung dafür übernehmen. Die Frage ist nicht, wieviel Zukunft wir uns wünschen, sondern wieviel Realität wir überhaupt noch ertragen wollen. Dafür bräuchte es vielleicht eine Revolution der Immaterialität im Sinne unserer Werte wie Freiheit, Toleranz, Respekt und Demokratie, die uns hilft, Verantwortung neu zu definieren und unsere destruktiven Gangarten zu korrigieren. Denn was passiert, wenn uns der Verstand hinsichtlich unseres Verantwortungsbewusstseins ganz abhandenkommt? Wem überlassen wir dann die Entscheidungen im Hinblick auf unserer Zukunft?

Wir wissen es

Spätestens jetzt wissen wir es. WIR müssen die Verantwortung für unsere Zukunft selbst in die Hand nehmen. Verantwortung für unsere Zukunft zu übernehmen, darf kein Lippenbekenntnis mehr sein. Wie sagte es der US-amerikanisch-kanadischer Experimentalpsychologe Steven Pinker: „Rationalität erwächst aus einer Gemeinschaft denkender Menschen, die einander ihre Irrtümer aufzeigen.“ Lasst uns endlich unsere Irrtümer korrigieren und verantwortungsbewusst die Zukunft gestalten.

Zukunftsblick

Die Moral der Zukunftsverantwortung

Wir haben ein Problem – und wir wissen es. Und genau das ist das Beste, was uns passieren kann. Denn jetzt können wir endlich den so bitter nötigen Perspektivenwechsel vor- und Zukunftsverantwortung übernehmen. Man darf ja mal träumen…

In unruhigen Zeiten kann man schnell mal die Orientierung verlieren. Das ist auch gar nicht böse gemeint – es passiert halt. Irgendwann spürt man, dass die Richtung einfach nicht mehr stimmt. Auch wenn wir anfänglich noch versuchen, am Ziel festzuhalten, erkennen wir irgendwann, dass wir uns verlaufen haben. Orientierungsverlust bedeutet meist ein Verlust von Referenzpunkten im Sinne des uns Bekannten. So läuft das dann auch bei unseren Zukunftsbildern. Aber spätestens, wenn unsere Zukunftsbilder an Tiefenschärfe verlieren, reicht Nachdenken allein nicht mehr aus. Denn es muss auch etwas getan werden, um die Richtung zu ändern, damit wir uns wieder orientieren können.

Perspektiven mit Weitblick

Schärfe verliert man meistens dann, wenn sich Perspektiven verändern und sich dadurch Ziele nicht mehr so leicht fokussieren lassen. Gerade Zukunftsziele und Zukunftsbilder sind stark von jenen Standpunkten abhängig, aus denen wir sie betrachten. Wenn das, was gestern noch undenkbar war, im Heute auf einmal völlig selbstverständlich wird, wird Angst schnell zum „Ratgeber“. Und dann bevorzugen wir Optionen, die wir kennen. Deshalb bedienen wir uns mit Vorliebe sogenannten vereinfachten Denkmodellen. Dabei versuchen wir möglichst schnell die Dinge wieder ins gewohnte Licht zu rücken. Hans Rosling nannte dieses Phänomen den „Instinkt der einzigen Perspektive“. Gerade Unsicherheit und Angst im Umgang mit Zukunft bedeutet oft nichts anderes als eine möglichst schnelle Wiederherstellung einer verlorengegangenen Ordnung. Weil uns eben nicht unsere Ängste einem Idealzustand näherbringen, gilt es zunächst einmal eine übergeordnete Perspektive einzunehmen. Eine die uns hilft, im unbekannten Terrain wieder etwas erkennen zu können. Durch Weitblick schaffen wir neue Sichtweisen auf etwas, was wir aus unseren alten Perspektiven völlig anders wahrgenommen haben. Wenn wir verstehen, dass unsere Zukunftsbilder meist nur durch unsere selbst geschaffenen Verhältnismäßigkeiten eingeschränkt werden, lassen sich dadurch auch wieder neue Denkhorizonte ergründen.

Ganz egal ob es nun eigene, übergreifende oder gemeinsame Perspektiven sind, letztlich bleibt es immer eine Frage der Wahrnehmung. Sind wir nämlich nicht gewillt, auch mal nach links oder rechts zu blicken, kann selbst das Neue nicht wahrgenommen werden.

Wenn wir uns nun in einer komplexen, unsicheren und schnelllebigen Welt orientieren und zurechtfinden wollen, braucht es folglich wieder neue Referenzpunkte, die unserer menschlichen Wahrnehmung wieder zu Sicherheit verhelfen. Leider haben wir Menschen große Probleme damit, uns in neuen und unbekannten Situationen auch rational zu verhalten. Zum einen liegt das daran, dass sich unsere „innere“ Orientierung stark an persönliche Werte, Einstellungen und Haltungen anlehnt und viel lieber bedürfnis- als verstandsorientiert handelt. Und zum anderen liegt es an einer Art der „äußeren“ Orientierung, über die wir versuchen, unser Wissen und persönliche Erfahrungshorizonte plausibel zu ergründen und abzubilden. Wie gut oder schlecht wir dieses Wechselspiel betreiben, spiegelt sich am Ende in unsere Meta-Erfahrung wider. Diese bestimmt nicht nur, welchen Bildern wir folgen, sondern auch welche Zukunftsentscheidungen wir letztlich treffen. Unsere Wahrnehmung spielt im Umgang mit unseren Zukunftsvorhaben eine mächtige Rolle. Leider aber wird sie durch subjektive Denk- und Sichtweisen vorschnell ausgebremst oder einfach nur verzerrt wahrgenommen.

Wahre Ziele

Wenn wir in unseren Zeitreisen über das Morgen nachdenken, werden Zukunftsziele meist vorschnell als Wahrheiten verkauft. Aber sind diese Ziele auch wirklich an dem ausgerichtet, was wir tun sollten, oder offenbaren sie uns nicht viel mehr eine Art Wahrnehmungsillusion im Sinne unserer Denkfehler? Ich meine, an welchen Zukunftszielen haben wir uns denn in der Vergangenheit ausgerichtet? In den letzten 250 Jahren war doch das Credo unseres Schaffens dadurch geprägt, unsere Umwelt auszubeuten und umzupflügen. Und weil wir den Bezug zu unserer natürlichen Welt schon längst verloren haben, fragen wir uns jetzt, wie wir mit den Folgen für Natur und Klima umgehen wollen. Solange sich das Neue nicht als Bilder in unseren Köpfen abbilden lässt, ist es einfacher so weiterzumachen wie bisher. Aber Transformation könnte auch bedeuten, nicht permanent aus Angst vor Veränderung die Fehler bei anderen zu suchen, sondern sich selbst zu verändern, sprich unsere menschlichen Eigenschaften. Dadurch könnte es uns gelingen, wirtschaftliche Ressourcen in kulturelle Ressourcen umzuwandeln, damit vielmehr das Wissen über den Zustand unserer Welt in den Mittelpunkt intelligenter Entscheidungen rückt. Eine Wissenskultur mit Weitblick, die uns hilft, unsere Wertesysteme sowohl individuell als auch kollektiv zu verändern. Denn Menschen verändern sich nicht, sie verändern nur ihre Werte und folglich die daraus resultierenden Haltungen. Genau das ist es, was es braucht, wenn wir über neue Ziele nachdenken wollen.

Konstant unkalkulierbare Zukunft

Die Zukunft ist eine der mächtigsten Kräfte der Menschheit. Diese Fähigkeit, nämlich geistig auf so etwas wie Zukunft zugreifen zu können, hat uns Menschen zu dem gemacht, was wir heute sind. Es hat dazu geführt, dass sich Kulturen und Zivilisationen überhaupt entwickeln und Wohlstand entfalten konnten. Heute spüren wir immer deutlicher, dass die Welt doch keine Endlosschleife ist und dass Zukunft mehr und mehr zur unkalkulierbaren Konstante wird. Aber könnte nicht gerade das für uns auch eine große Chance sein? Wenn wir doch alle wissen, dass die Zeit der Zukunftsphrasen ihr Ablaufdatum erreicht hat und Zukunft unberechenbar und unsicher ist, könnte uns doch dafür ein neuer Plan behilflich sein. Ein Plan, der Orientierung schafft für eine Welt, in der wir nicht noch mehr vom Gleichen, sondern endlich mehr vom Richtigen vorantreiben sollten. Ein Plan mit Weitblick.

Zukunftsblick

Weitblick schafft Orientierung

Wenn wir über das Morgen nachdenken, werden Zukunftsziele meist vorschnell als Wahrheiten verkauft. Doch: Sind das nicht Illusionen? Bräuchten wir nicht vielmehr einen Plan mit Weitblick?

Die Luftfahrt befindet sich im Umbruch. Für Branche und deren Mitarbeiter ist das an sich nichts Neues bzw. Abnormales. Vielmehr werde einem bereits während der Ausbildung klar vermittelt: „Es braucht Durchhaltevermögen, da es im Airline-Business immer wieder Phasen des Stillstands gibt. Da muss man durchtauchen, denn der nächste Aufschwung kommt bestimmt. Zumindest war das bis vor Corona der Fall“, weiß Michael Marchetti, Pilot und zuletzt Kapitän von Businessjets, mit denen er Prominente, Politiker, Geschäftsleute und einmal sogar einen einzelnen Anzug rund um die Welt flog. Die Pandemie hat die Branche jedoch nachhaltig verändert: Massenkündigungen, die bis heute nachwirken und zu psychischen Belastungen, wenn nicht sogar Selbstmorden geführt haben. Beinharte Preiskämpfe durch die Billig-Airlines, die den Fluggästen zwar günstige Tickets bescheren, aber auch am Image der Fliegerei kratzen und dazu führen, dass das Personal chronisch unterbezahlt ist. „Die Menschen sind frustriert, weil sich die Bedingungen in den Keller entwickelt haben. Nicht nur die Ausbildung muss man sich selbst finanzieren, bei vielen Billiganbietern muss die Crew die Verpflegung selbst mitnehmen oder sich ihre Uniformen selbst kaufen. Piloten sind vielfach nicht mehr angestellt, sondern selbstständige Unternehmer, die sich ihre Brötchen hart verdienen müssen. Am Sager ‚Das teuerste Ticket hat immer der Co-Pilot‘ ist vor allem bei Billig-Airlines etwas Wahres dran“, konstatiert Michael.

What makes you feel alive?

Für den studierten Philosophen und ehemaligen Journalisten, der erst mit 30 Jahren seine Karriere als Pilot startete, war Corona ebenfalls ein Wendepunkt – oder wie er sagt: „Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“ Schon zuvor hat der Vater von zwei erwachsenen Töchtern seinen Job von Zeit zu Zeit kritisch hinterfragt. Die Leidenschaft für das Fliegen habe aber stets überwogen – bis zu jenem Abend Anfang April 2020, als er zwei, drei Wochen nach Beginn des ersten Lockdowns in seinem Garten ein Lagerfeuer machte, in den Sternenhimmel blickte und ebendort eine endlos scheinende Kette von Space X-Satelliten sah: „Da ist mir der Mund offengeblieben, da mir bewusst wurde: Das ist erst der Anfang. Elon Musk möchte ja 30.000 derartige Satelliten ins All schießen; 1.800 hat er schon oben. Das ist völlig irre und ich habe mich gefragt: Ist das wirklich unsere Zukunft? Ist das gut und richtig, was wir hier tun – in meinem Fall Menschen in Privatjets herumzufliegen? In dem Moment war mir klar: Das ist meine Chance, die Dinge anders zu machen.“
Drei Monate später hat Michael gekündigt, ohne zu wissen, was er künftig machen wird. Erst ein weiteres halbes Jahr später hatte er nach einem Telefonat mit Transformationsforscher Jens Hollmann eine Idee davon, wohin die Reise gehen könnte: „Ich habe schon mehrmals im Leben neu angefangen und Dinge losgelassen, um zu schauen, was kommt und wo es mich hinzieht. Diese Suche nach dem ‚what makes you come alive‘ gepaart mit einem Grundvertrauen hat mich jedes Mal noch näher zu mir selbst gebracht.“
Und genau das wollte Michael Marchetti weitergeben. So wurde aus der theoretischen Idee einer Art „AMS für Piloten“ schlussendlich OneEightZero: ein Transformationsprogramm für Piloten, Flight Attendants, aber auch Airlines. „Die Flugbranche ist so unberechenbar wie nie zuvor. Umso wichtiger ist es, den Sinn im Leben zu finden und sich – wie etwa dem japanischen Ikigai-Modell entsprechend – zu fragen: Was liebe ich? Worin bin ich gut? Wofür werde ich bezahlt? Und last but not least: Was braucht die Welt? ‚Return to yourself‘ sozusagen. In der Fliegerei sprechen wir bei einer Umkehrkurve von einem one eight zero-turn. Und genau das ist es, was wir hier machen: Eine 180 Grad-Wende, bei der man den Blick auf sein Inneres richtet und dann Schritt für Schritt seine persönliche Zukunft findet und gestaltet“, so Michael.

OneEightZero: Ready to take off

Seit Mitte März 2022 ist OneEightZero am Start. Sieben Wochen lang durchlaufen die Teilnehmer spielerisch eine virtuelle Weltreise zu sich selbst. Im Rahmen von Videobeiträgen, Podcasts, Potenzialanalysen, Tasks, Tests, Zoom Calls und Coachings geben internationale Experten ihr Wissen zu Zukunftsthemen, Storytelling, Selbstführung und Leadership, Mindset und anderes mehr preis. „Am Ende weiß man, wer man ist, wo man steht und wohin man möchte. Dabei muss nicht jeder seinen Job als Pilot oder Flight Attendant aufgeben“, betont Michael. „Vielmehr geht es darum, Möglichkeiten aufzuzeigen. Manche brauchen einfach nur einen Plan B, der ihnen längerfristig als Option dienen und somit Sicherheit geben oder in Kombination mit der Fliegerei angegangen werden kann.“ Fliegen ist freilich für viele ein Traumberuf, von dem man schon als kleines Kind geträumt hat. Und das macht es auch so schwer, weiß der 49-Jährige:

„Manche glauben, nur in diesem Beruf glücklich zu werden – schließlich haben sie sich ihren Traum erfüllt. Für viele bricht also eine Welt zusammen, wenn sie nicht mehr fliegen können. Es ist fast so, als würde die Daseinsberechtigung abhandenkommen. Bei OneEightZero lernen die Teilnehmer, dass es auch andere Dinge gibt, die sie gerne und gut machen und worin sie Erfüllung finden können.“

Reise-Experiment

OneEightZero ist wie ein Experimentierraum – oder besser gesagt eine experimentelle Reise, die es einem ermöglicht, nach der Rückkehr rasch zu reagieren, wenn sich wieder etwas ändert. Und das ist wichtiger denn je, schließlich wird uns Corona mit all seinen Auswirkungen noch (etwas) länger erhalten bleiben. Der Krieg in der Ukraine, die Klimakrise und zahlreiche andere globale Entwicklungen machen zudem deutlich, dass sich die Welt verändert – und zwar rasanter als viele von uns denken.
Dass sich nicht nur die Welt, sondern eben auch die Flugbranche im Wandel befindet, wurde schon eingangs erwähnt. Stellt sich die Frage: Wie schaut dieser aus? Und vor allem: Wie nachhaltig und umweltfreundlich ist er? Laut Michael Marchetti ist man sich bei den Airlines durchaus darüber im Klaren, dass es so wie bisher nicht mehr weitergehen kann: „Auf Managementebene werden Überlegungen hinsichtlich Umstrukturierungen angestellt. Das Problem aber ist, dass die Flotten meist aus veralteten Flugzeugen bestehen, die wesentlich mehr Sprit verbrauchen als neue Maschinen. Am Ende des Tages sind die Alltagsprobleme allerdings meist größer und die finanziellen Mittel reichen nicht aus, um auf Maschinen umzurüsten, die umwelttechnisch besser abschneiden.“
Letzteres wäre freilich wichtig, ist doch Fliegen klimatechnisch ein großes Problem. Eine Thematik, über die sich das Flugpersonal zwar Gedanken mache, die viele jedoch verdrängen oder Gegenargumente finden. Für Michael verständlich: „Wer sich mit dieser Problematik genauer beschäftigt, stellt ja gleichzeitig sein eigenes Tun in Frage.“

Ein besonderes Zukunftsbild

Er selbst hat das getan und nicht nur den Job gekündigt, sondern sich außerdem Gedanken über ein nachhaltiges Zukunftsbild für die Luftfahrt gemacht. Geht es nach dem OneEightZero-Gründer müssen Flugreisen wieder zu Luxusgütern werden – so wie sie es bis in die 1990er-Jahre der Fall war. Dieses Rückbesinnen brauche es sowohl bei den Airlines, als auch vonseiten der Passagiere: „Ich möchte die Fliegerei gar nicht verbieten, denn sie bringt Menschen und Kontinente zusammen. Doch sie muss nachhaltig und zukunftsfähig werden. Einerseits durch neue, grünere Flieger. Andererseits aber vor allem durch eine Abkehr vom Billig-Image. Außerdem bräuchte es eine Reduktion der Masse. Die Menschen sollten sich überlegen, wann und wohin sie fliegen. Man sollte länger an dem Ort bzw. in der Region bleiben, Land und Leute kennenlernen, vielleicht sogar dort arbeiten. Fliegen muss wieder etwas Spezielles, etwas Besonderes werden, sodass die Menschen bereit sind, einen angemessenen Preis dafür zu bezahlen. Und dann wird es auch den Crews wieder besser gehen.“
Michael Marchetti hat vor über zwei Jahren eine Reise angetreten, mit der er nicht nur sein eigenes Leben einmal mehr komplett gedreht hat, sondern auch dazu beitragen wird, dass viele seiner ehemaligen Kollegen einen Transformationsprozess zu sich selbst durchlaufen können. Er allein wird die Welt der Fliegerei nicht verändern. Doch mit OneEightZero zeigen er und sein Team auf, was möglich ist.

 

 

Zur Person: Michael Marchetti

… Michael Marchetti wurde 1973 in Österreich geboren, studierte Geschichte, Philosophie und Literatur in Wien und Santiago de Chile, war in den 1990er-Jahre als Journalist für internationale Zeitungen, Radio- und Fernsehsender tätig und jobbte rund um die Jahrtausendwende zwei Jahre als Tauchlehrer in Mexiko und Kenia. Im Alter von 30 Jahren begann er eine neue Karriere als Pilot und wurde Kapitän von Businessjets, mit denen er Prominente, Politiker und Geschäftsleute flog. Michael ist mit der ehemaligen Nachrichtenmoderatorin und Psychotherapeutin Tiba Marchetti verheiratet, Vater von zwei erwachsenen Töchtern und Naturliebhaber.
www.oneeightzero.org

Zukunftsblick

OneEightZero: Zeit für eine Wende

Michael Marchetti hat seinen Pilotenjob an den Nagel gehängt – nicht nur um selbst eine 180-Grad-Wende zu vollziehen, sondern auch um mit OneEightZero° ehemalige Kollegen bei einer möglichen Transformation zu unterstützen. Ein Zukunftsbild für die Flugbranche hat er ebenfalls mit im Gepäck.

Craig Foster war mit seinem Bruder viele Jahre als Dokumentarfilmer in der Wildnis Afrikas unterwegs. 2010 schlitterte er ins Burn-out, verlor die Lust am Filmen, zog sich zurück und fand beim Freitauchen wieder den Weg ins Leben. Während seiner täglichen Tauchgänge im Algenwald von False Bay vor Kapstadt begegnete er einem Oktopus-Weibchen – und war vom ersten Moment an regelrecht entflammt. Über ein Jahr lang tauchte Foster hinab in die küstennahen Tiefen, gewann einerseits das Vertrauen des Oktopusses, andererseits aber auch Einblicke in den nicht immer einfachen Alltag dieses erstaunlichen Tarnungskünstlers. Foster setzte sich immer intensiver mit dem „Chamäleon der Unterwasserwelt“ auseinander, spürte die Angst, wenn sich ein Hai näherte, den Schmerz, wenn Letzterer dem Kraken im Gefecht einen Arm abriss, und die fast kindliche Freude, wenn sein Octopus Teacher mit anderen Meeresbewohnern oder mit Foster selbst spielte. Am Ende jedoch muss er sich von seiner Freundin verabschieden – schlichtweg, weil es die Natur so vorgesehen hat.

Ein Taucher und sein Lehrer

In diesem Jahr hat Craig Foster auch sich selbst (wieder) gefunden. Für manch einen Grund zur Kritik an dem vielfach ausgezeichneten und hochgelobten Film. So bezeichnete etwa Bernd Graff in der Süddeutschen Zeitung den Film als „Bankrotterklärung für Tierdokumentation in Zeiten des realen Klimawandels“, denn es gehe „nicht um den Achtarmer, sondern um den armen Taucher“. Es mag sein, dass „My Octopus Teacher“ kein reiner Tierfilm ist.
Doch vielleicht hatten Foster und seine Filmemacher-Kollegen Pippa Ehrlich und James Reed das gar nicht im Sinn? Was, wenn es eben genau darum ging, aufzuzeigen, dass wir es nicht mit getrennten Welten zu tun haben? Was, wenn sie verdeutlichen wollten, dass wir tatsächlich Teil der Erde und nicht nur Besucher sind, auch wenn wir lediglich für eine bestimmte Zeit hier sind? Dann nämlich muss jedem klar werden, dass es an uns liegt, Verantwortung zu übernehmen – für uns und die nachfolgenden Generationen. Für die Welt vor unserer Haustür genauso wie für jene am anderen Ende des Globus. Für die Natur am Land und im Wasser, für andere Menschen ebenso wie für Flora und Fauna.

 

 

Craig Foster hat nicht nur für sich einen neuen Weg gefunden, sondern vor allem auch Verantwortung übernommen und 2012 das Sea Change Project gegründet: Eine Non-Profit-Organisation, die sich vor allem um diese beeindruckende Unterwasserwelt bemüht, die sich vor der Küste von Südafrika auftut. Ein Gebiet, das stellenvertretend für alle anderen Regionen steht, wenn es darum geht, dass es allerhöchste Zeit ist, endlich verantwortungsvoll mit der Welt umzugehen, in der wir leben dürfen.

 

Die Bilder, die uns vom Sea Change Project zur Verfügung gestellt wurden, geben einen kleinen Vorgeschmack auf den Film, der auf Netflix verfügbar ist.
www.seachangeproject.com

Zukunftsblick

My Octopus Teacher: Einander Lehrer sein

„Wir sind Teil der Erde, nicht nur Besucher“, sagt Craig Foster am Ende von „My Octopus Teacher“. Ein oscarprämierter Film, der die faszinierende Freundschaft zwischen ihm und einem Oktopus-Weibchen dokumentiert und zugleich aufzeigt, dass Mensch und (Meeres-)Tier einander Lehrer sein können.

Gastkommentare sind Beiträge, die nicht aus der Redaktion von Zukunft Neu Denken entspringen.

 

In einer kurzen Notiz bemerkte der französische Philosoph Michel Foucault im Jahre 1973, dass „wir auf grundlegende Weise nach dem Heute fragen“ müssen, wenn wir unsere Zukunft beherrschen wollen („O mundo é um grande hospício“, 1973).
Die meisten Menschen wissen es aus eigener, leidvoller Erfahrung: Wenn man heute nicht plant, spielt man mit der Zukunft. Manch einer von uns weiß aber auch, dass jede Planung ihre Grenzen hat. Denn nicht alles, was wir uns vornehmen, wird funktionieren. Und manch neue Lösung wird sich in der Zukunft als Problem herausstellen.
Was haben sich im Jahre 1961 die Damen und Herren des US-amerikanischen Weltraumprogramms wohl gedacht? Haben sie ihre Gegenwart grundlegend befragt oder haben sie nicht vielmehr unseren Mond fixiert, diesen für uns Menschen bis dahin unerreichbaren Ort — dem die Menschheit nun einen Besuch abstatten wollte?

Im selben Jahr kam ich zur Welt und saß 1969 vor dem Fernsehgerät, um die Landung des ersten Menschen auf dem Mond mitzuerleben. Dieses Projekt gab mir wahrlich Orientierung. Ich lernte damals, dass wir uns die schwierigsten, die kompliziertesten, ja, die verrücktesten Projekte vornehmen können. Und dass wir es schaffen, wenn wir nur wollen.

Genau ein halbes Jahrhundert nach diesem Coup erlebten meine drei Kinder den Transfer eines privaten Sportwagens in die Sonnenumlaufbahn. Dieses nicht weniger spektakuläre Ereignis orientierte mich persönlich darüber, dass wir Menschen einen entscheidenden Schritt weiter gekommen sind. Mir wurde plötzlich klar, dass wir technisch so viel mehr tun können — als wir tun sollten.
Manche Fortschritte unserer technischen Welt sind auf eine geradezu bedrohliche Weise leistungsfähig. Wenn wir uns heute Gedanken über unsere Zukunft machen, dann könnten wir zwei Richtungen im Blick haben: den nach vorne orientierten Blick in die Zukunft — aber auch den prüfenden Blick zurück.
Das uns vertraute Wort Orientierung ist eine Ableitung zu (frz.) orient und bedeutet soviel wie „die Richtung, in der ein neuer Tag aufsteigt“. Anlässlich der Weltlage im allgemeinen und der Gründung des Vereins „Zukunft Neu Denken“ im besonderen, schlage ich daher vor, dass wir heute gemeinsam unsere Kräfte zähmen, dass wir heute gemeinsam unseren unbedingten Willen depotenzieren, dass wir heute gemeinsame Grenze anerkennen — so „okzidentieren“ wir uns in zeitgemäßer Weise.

Nur ein Spiel mit Worten?

Nein, verstehen wir es als eine „Denkform“ der Zukunft — einer koexistentiellen Zukunft — einer Zukunft in Frieden, Gesundheit und Wohlstand.

 

Über den Autor…

Prof. Dr. Gerhard M. Buurman ist Designer und Kulturwissenschaftler. Von 2001 bis 2017 unterrichtete er an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich, wo er unter anderem die Studienbereiche Interaction Design und Game-Design gründete, den Aufbau des Swiss Design Institute for Finance and Banking initiierte und das Institut für Designforschung leitete. Heute arbeitet der Konstanzer mit seinem Institut für Denkformen einmal mehr an der Schnittstelle von Design und Ökonomie. Gerhard M. Buurman ist außerdem Teil des Zukunftsrates von Zukunft Neu Denken.

www.postmodular.de

Zukunftsblick

Okzidentierung in zeitgemäßer Weise

Gerhard M. Buurmann erkärt, warum wir sowohl einen nach vorne orientierten Blick in die Zukunft benötigen, als auch einen prüfenden Blick zurück.